Der breiten Masse ist Igor Levit während des Corona-Lockdowns 2020 ein Begriff geworden, als er auf Twitter nicht nur als „einfacher“ Nutzer unterwegs war, sondern seine häuslichen Klavierkonzerte publik machte und sich zudem deutlicher als (Menschenrechts)Aktivist positionierte, der, selbst jüdischer Herkunft, vor Allem klar gegen Antisemitismus Stellung bezog und nach wie vor bezieht.
Leider war kurz nach Erscheinen dieses biografischen Sachbuchs die Situation nicht nur in den sozialen Medien eskaliert, so dass Levit sich kurzzeitig zurückzog und vor diesem Hintergrund, dass sein Engagement ihn zu erdrücken drohte bzw. besser und weniger sächlich ausgedrückt: dass es aufgrund seines Engagements Gewaltdrohungen gegen ihn gab, war „Hauskonzert“ für mich zunächst schwierig zu lesen. Da war letztlich das Buchende bezeichnend, indem Levit erklärt, dass es häufig ein merkwürdiger Konsens zu sein scheint, dass Ruhm einen Menschen zu einer emotionslosen Angriffsfläche mache, die man eben nicht mehr als menschliches Wesen, das diese Angriffe zugrunderichten können, anerkennen müsse.
Generell würde ich „Hauskonzert“ nun übrigens nicht unbedingt als Biografie bezeichnen; ich habe das Buch mehr als fragmentarischen Feuilletonartikel empfunden, Florian Zinnecker als Protokollant aufgefasst und Igor Levit hier eher als Beobachtungsobjekt gesehen – zumindest hatte ich an keiner Stelle das Gefühl, dass Levit, der als Mitautor angeführt ist, tatsächlich direkt zur Autorenschaft beigetragen hat.
Die einzelnen Absätze sind (zumindest in der gedruckten Ausgabe) durch Leerzeilen voneinander getrennt, was mich bis zuletzt leicht irritiert hat: zum Einen hat das meinen fragmentarischen Eindruck definitiv verstärkt, aber zum Anderen habe ich mich gefragt, ob man diesen Stakkato-Stil nur gewählt hat, um das Buch künstlich zu strecken.
„Hauskonzert“ ist definitiv keine klassische Künstlerbiografie, von klein auf bis ins Groß hinein: Hauptsächlich von 2020 ausgehend, wird mal dahin, mal dorthin zurückgeblickt und dabei doch auch die Gegenwart in Szene gesetzt, überlegt, was noch kommen kann, was kommen wird. Meines Empfindens läuft in „Hauskonzert“ alles darauf hinaus, Igor Levit als einen ruhelosen Menschen darzustellen, dessen Gedanken nie stillstehen und dem bewusst ist, dass das Leben ihm keinesfalls Zeit genug für all das, was er anstrebt, lassen wird, ohne dass er irgendetwas hintenan stellen will.
Überraschend fand ich, dass er zudem hier nicht als „Wunderkind“ deklariert wird; man kennt es von anderen schlagzeilenträchtigen Instrumentalisten, die stets nur betonen, dass ihre Kindheit nur vom Üben und mindestens einer strengen Hand geprägt war; in „Hauskonzert“ wird zwar nicht außen vor gelassen, dass auch Levit bereits als kleiner Bub mit dem Klavierspiel begonnen hat, aber hier scheint mehr Verblüffung durch, dass er es quasi einfach in den Fingern hatte und die Profis reihenweise damit überraschen konnte, selbst die schwierigsten Sonaten auf Anhieb aus dem Effeff spielen zu können. Dass das Klavierspiel sein Leben deutlich mehr als zunächst spürbar geprägt hat, kam für mich vor Allem in Zusammenhang mit der Pandemie zum Vorschein, als aufgrund des weitgehend stillgelegten Kulturbetriebs auch sein Leben einen entsprechenden Stopp einlegte und er sich zwangsläufig damit befassen musste, was er ohne die Tätigkeit als Musiker wäre bzw. wie sich sein Musikerleben in den Lockdown einbinden ließe oder auch, was einen überhaupt zum Musiker macht.
Ich habe hier sehr viel selbstreflektierende innere Zerrissenheit herausgelesen; bedauerlich fand ich, dass sein Aktivismus eher oberflächlich angesprochen wurde: wer Levit bei Twitter erlebt, dürfte seine Aussagen als sehr viel eindrücklicher erleben als die im Buch enthaltenen Schilderungen, aber wie gesagt: mir ist von der Erzählstimme her prinzipiell zu wenig Igor Levit durchgekommen.
Insgesamt bin ich mir auch unschlüssig, ob und wem ich dieses Buch empfehlen würde: für mich als jemand, der Levit auch aufmerksam auf Twitter verfolgt, war es nun interessant zu lesen, wenn auch weder spannend noch dass es hier irgendwelche großartigen Überraschungen gegeben hätte. Wer sich regelmäßig im Feuilletonteil der Zeitung tummelt, wird bestimmt mitunter auch Freude am Lesen von „Hauskonzert“ empfinden. Wer Levit allerdings gar nicht kennt, den wird „Hauskonzert“ wahrscheinlich auch weitaus weniger neugierig auf ihn machen als beispielsweise der Besuch eines seiner Konzerte.
22.07.21: